Goldenes Jubiläum mit Devizes (WKZ 6.5.2016)
Seit 50 Jahren besteht die Waiblinger Partnerschaft mit der Stadt in Südwestengland
Von unserem Redaktionsmitglied Andreas Kölbl
Waiblingen. Dreiecksbeziehungen in der Liebe sind eher heikel. Zwischen Städten können
sie ziemlich stabil sein, das beweist die Waiblinger Freundschaft mit Mayenne in
Frankreich und Devizes in England. 50 Jahre währt die Verbindung mit den Briten.
Ausgerechnet 1966, im Jahr des legendären Finales von Wembley, kam’s zur Verschwisterung.
April 1966. England fiebert auf die Fußball-WM im eigenen Land hin. An der Spitze
der deutschen Hitparade steht Nancy Sinatras „These Boots are made for Walkin’“,
die Album-Charts werden vom aktuellen Album der Beatles aus Liverpool angeführt:
„Rubber Soul“. Der Bundeskanzler heißt Ludwig Erhard, der britische Premierminister
Harold Wilson. Eine Sache aber bleibt bis heute unverändert: Staatsoberhaupt aller
Briten ist Queen Elizabeth II. Im Städtchen Devizes, ungefähr auf halber Strecke
zwischen London und Bristol gelegen, feiern rund 1000 Menschen die Verschwisterung
mit dem schwäbischen Waiblingen. Mit dabei auch eine Delegation aus Mayenne. Die
Remstäler kamen mit dem Reisebus. An Bord außer OB Kurt Gebhardt die Stadträte Lothar
Mayer (CDU) und Gerd Schulte (SPD), für die lokale Presse der Redaktionsleiter Richard
Retter und nicht zuletzt eine Fußball-Auswahl aus Spielern der Waiblinger Vereine
SKV, VfR und VfL.
Eine deutsch-britische Beziehung beginnt in Frankreich
Die „Jumelage“ zwischen Waiblingen und Mayenne bestand bereits ein paar Jahre. Die
Franzosen hatten auch ihren Anteil an der deutsch-britischen Liaison, wie sich der
heute 94-jährige Gerd Schulte erinnert: Bei einem Treffen bei den Mayennern waren
auch deren Freunde aus Devizes zugegen. Bedingt durch die Sprachbarriere parlierten
die meisten Waiblinger weniger mit den Gastgebern, sondern fanden eher zum Small
Talk mit den Engländern. Zu vorgerückter Stunde in dieser „alkoholgetränkten“ Nacht
wurde die Idee der Dreiecksbeziehung geboren und sogleich begossen. Obacht: „In der
Ehe sollte man das nicht machen“, warnt der Allgemeinarzt vor Risiken und Nebenwirkungen.
Was wohl erst recht für den weiteren Fortgang der Waiblinger Partnerschafts-Geschichte
gilt, denn mittlerweile gehören Baja in Ungarn sowie Jesi in Italien zu den Geschwistern
der Großen Kreisstadt – und nun kommt noch das amerikanische Virgina Beach hinzu.
Chöre und Orchester: Eine musikalische Partnerschaft
Wahrscheinlich war Schulte der erste Waiblinger, der Devizes kennenlernte. 1944 als
Kriegsgefangener wurde er durch eine englische Stadt geführt, in der alle Ortschilder
und Wegweiser demontiert waren, damit sich die feindlichen Soldaten nicht orientieren
konnten. Nach Waiblingen kam er erst 1954 durch seine Frau, als er jedoch als Teil
einer Waiblinger Delegation zur Anbahnung der Partnerschaft die Stadt 1965 offiziell
besuchte, hatte er ein unheimliches Dé jà -Vu: Häuser, Straßen, alles schon einmal
gesehen – und dann die Marktsäule, untrügliches Wahrzeichen der Stadt.
„Die Partnerschaft hatte einen politischen Touch“, sagt Gerd Schulte. Insofern sagte
Bürgermeister Reginald Maslen der Städte-Verschwisterung „segensreiche Folgen für
die Zukunft“ voraus – und sollte recht behalten. Versöhnung und Völkerverständigung
waren keine Floskeln, sondern aus der bitteren Erfahrung des Krieges gewachsene,
dringliche Anliegen. Nicht alle in Devizes standen hinter der Partnerschaft, es existierten,
kaum 20 Jahre nach dem Krieg nicht verwunderlich, Vorbehalte gegen „die Deutschen“.
Städtepartnerschaften haben einen kaum zu überschätzenden Anteil am Zusammenwachsen
Europas, weil vermeintliche Feinde von einst sich begegneten und Freunde wurden.
Übrigens hat Hans Illg, seit mehr als 20 Jahren Vorsitzender der Partnerschaftsgesellschaft,
auch in letzter Zeit aus Devizes nur Stimmen gehört, die sich für den Verbleib der
Briten in der EU aussprechen.
Illg ist bei der Partnerschaftsgesellschaft Gründungsmitglied in Abwesenheit. Seine
Eltern trugen ihn ein, weil der junge Lehrer gerade in Devizes weilte. Er überbrachte
Noten für ein Konzert des Volkshochschul-Ensembles, bei dem er auch mit der Gattin
des damaligen OB Kurt Gebhardt spielte, die sich für die Sache der Städteverbindungen
engagierte. Musikalisch war die Partnerschaft immer – unter anderem das Städtische
Orchester, der Gesangverein Frohsinn und der Posaunenchor der methodistischen Kirche
pflegten den Austausch.
Eine neue Erfahrung war für die ersten Devizes-Besucher die Sitte des „morning tea“:
Er wurde vom Gastgeber gleich nach dem Wecken am Bett serviert, vor dem berühmt-üppigen
englischen Frühstück. Gastronomisch zählte ansonsten eine englische Bierprobe zu
den Highlights. Die Wadworth Brewery in Devizes gilt als eine der bedeutendsten Brauereien
Südwestenglands. Besonders populär ist ihr „6X“. In Devizes wird das Bier mit dem
Pferdewagen ausgefahren. Auch sportlich ging’s zu: Einen der berühmten englischen
Rasen nutzten Waiblinger eines Sonntags zum Fußballspiel. Erst hinterher erfuhren
sie, dass das Betreten eigentlich verboten war. Mister Alexander aus Devizes fuhr
1969 mit einem Oldtimer nach Waiblingen – ganz ohne Panne. 1975 fuhr er mit dem Rad
und fuhr dabei über Mayenne – eine Gesamtstrecke von 2415 Kilometern.
Etwas Sorgen bereitet derzeit die Verbindung auf Schulebene, denn in Devizes findet
kein Deutsch-Unterricht mehr statt. Gut besucht sind die Treffen aber immer noch,
im Juni 2015 fuhren zuletzt mehr als 80 Waiblinger nach Devizes. Das goldene Jubiläum
wird im Juni dieses Jahres dort gefeiert, wo die Beziehung ihren Ursprung hat: in
Mayenne.
Originalberichte aus unserer Zeitung, Erscheinungsjahr 1966.